Kreisklassenfußball ist, wenn man als Abwehrspieler einen Ball völlig unbedrängt auf die benachbarte Kuhweide ballert und dafür noch von der versammelten Mannschaft ehrlich gefeiert wird. Frei nach dem Motto: „Endlich mal einer, der klare Dinger hinten raus spielt!“
Kreisklassenfußball ist, wenn bei jeder und wirklich jeder Verletzung das Eisspray gezückt wird. Egal ob Prellung, Zerrung, Riss, offener Bruch, Nasenbluten oder Gehirnerschütterung – die Dose mit dem kühlen Linderungswunder zückt der Betreuer, dessen letzter Erste-Hilfe-Kurs noch den Führerschein zum Anlass hatte, bei jedem Gebrechen seiner Schützlinge. Einer Kreisklassenlegende nach ist ein Spieler, der sich vor dem Spiel komplett mit Eisspray einsprüht, für 90 Minuten unverwundbar…
Kreisklassenfußball ist, wenn ein seniler Schiedsrichter mit gefühlten 80 Jahren noch das entscheidende Aufstiegsspiel pfeifen darf. Mit dem Bewegungsradius des Mittelkreises ist er der festen Überzeugung, jede Abseitsposition auf den Zentimeter zu erkennen, wobei er nach Ansicht der benachteiligten Mannschaft ohnehin „immer nur auf Zuruf“ der Zuschauer oder gegnerischen Spieler entscheidet.
Kreisklassenfußball ist, wenn der Trainer jedem Spieler vor der Partie tief in die Augen schaut. Nicht etwa, um dort das Feuer aufs anstehende Spiel erkennen zu wollen, sondern vielmehr um den Promillepegel eines jeden Einzelnen einschätzen zu können.
Kreisklassenfußball ist, wenn der Spielmacher, der es „wegen Arbeit und so“ schon seit Wochen nicht zum Training schafft, bereits vor der Halbzeit von Krämpfen geplagt vom Platz muss. Hätte der Betreuer nicht das Eisspray dabei gehabt, wäre nicht mal der Gang in die Kabine ohne das Stützen seiner Mitspieler möglich gewesen.
Kreisklassenfußball sind abenteuerliche Spielstätten. Wenn der Rasenmäher der Gemeinde kurzfristig streikte, wird notfalls auf einer von Pilzen und Löwenzahn bewachsenen Rasenfläche gekickt. Genauso zum Kreisklassenalltag gehören Seiten- und Torauslinien mit schwindelerregenden Kurven, die bis zu einem halben Meter ins Spielfeld ausschlagen. Aufgrund von mangelhaft gekreideten Plätzen kommt es auch öfters vor, dass der Schiedsrichter den längst verblichenen Elfmeterpunkt kurzerhand selbst ermitteln muss. Elf „gefühlte Meter“ läuft er dafür ab. Es ist dann aber auch nicht kriegsentscheidend, wenn der Schütze aus tatsächlichen 9 oder gar 13 Metern antreten muss. Willkommener Spaß: Schon als versenkt bejubelte Torschüsse, die in einer Pfütze oder Sandkuhle vor der Linie stecken bleiben.
Kreisklassenfußball ist vor allem ein Sport für Altmeister. Ehemalige Topspieler aus der Umgebung schnüren hier noch ihre Bolzer und leben mehr von ihren alten Geschichten als ihren Taten auf dem Platz. Der Klassiker: Ein Mitvierziger, der früher schon „ganz hoch gespielt hat“, und dessen beide Kniebandagen an die unzähligen Kreuzbandrisse aus der Vergangenheit erinnern. Ärzte rieten dringlichst vom aktiven Spielbetrieb ab. Aber ohne gehts halt nicht. Einzig die Zweikämpfe werden nicht unbedingt mit der Härte aus vergangenen Tagen geführt.
Kreisklassenfußball sind eingeflogene Blutgrätschen auf Kniehöhe, bei denen man auch mal mit einer Verwarnung davon kommt. Persönliche Zwiste zwischen verfeindeten Spielern aus den Nachbardörfern oder Stadtteilen können unter dem Deckmantel eines Fußballspiels mit aller Härte ausgefochten werden. Selten greift ein Schiedsrichter mit der nötigen Rigorosität durch. Klassischer Ausruf eines Spielers, der gerade rüde von den Beinen geholte wurde: „Spinnst du, Macker?! Ich muss morgen noch arbeiten!“ Klassischer Ausruf von den heimischen Zuschauern: „Der hat schon Gelb! Raus die Sau!“ Dabei ist es gänzlich unerheblich, ob der Spieler vorher überhaupt schon ein Foul begangen hat.
Stichwort Fans: Kreisklassenfußball lebt auch von den Zuschauern. Zugegebenermaßen sind es nicht immer viele Fans auf diesem Niveau, aber jeder kleine Verein hat seine Stammzuschauer aus dem Dorf. Wo es Kümmerling und Bier gibt, findet man „die Originale“. Sie haben schon alles gesehen und mitgemacht. Sie verunsichern die Schiedsrichter und gegnerischen Spieler gern mit Beleidigungen unter der Gürtellinie. Folgliche Sportplatz-Verweise werden pöblend – aber routiniert – hingenommen. Stammzuschauer gehören quasi zum Inventar eines jeden Dorfvereines.
Kreisklassenfußball ist, wenn man trotz einer bemerkenswerten Höhe von Restalkohol im Blut noch vor dem Spiel gefeiert wird, da man den gegnerischen Top-Stürmer schließlich am Vorabend „komplett unter den Tisch“ gesoffen hat. Taucht dieser am nächsten Tag dann nicht mal auf dem Spielberichtsbogen auf, ist das Sonderlob schon vor dem Anpfiff gewiss.
Kreisklassenfußball sind die mit Abstand schlechtesten Schwalben, die man je gesehen hat. Wer sich über die Theatralik der Laien-Schauspieler von RTL-II-Reality-Soaps beschwert, hat zu wenig Zeit auf den Fußballplätzen der Kreisklasse verbracht.
Zum Kreisklassenfußball gehört eine optimale Spielvorbereitung und volle Konzentration. So kann es durchaus passieren, dass die Bankspieler in der Halbzeitpause am Bratwurst-Stand bei Krakauer und Pommes anzutreffen sind. Kurz bevor der Coach mit dem Team wieder aus Kabine kommt, stehen die Jungs aber längst wieder auf dem Platz, um ihre Alibi-Dehnübungen zu machen. Der letzte Bissen wurde schnell mit einem Schluck Pils aus den Reihen der Zuschauer runtergespült…
Kreisklassenfußball sind Verpflichtungen für Neuzugänge. Eine Kiste Bier zum Einstand, eine Kiste beim ersten Einsatz, eine beim ersten Tor, eine nach dem Versieben der Großchance kurz vor dem Abpfiff. Es wird ohnehin schon spekuliert, wann das Bier den Euro als Währung auf den Kreisklassenplätzen ablöst.
Im Kreisklassenfußball ist kein Platz für die Messis dieser Welt. Technisch versierte Spieler können sicher einen oder auch zwei Spieler per Übersteiger aussteigen lassen, aber spätestens beim dritten Gegner ist Sense. Im wahrsten Sinne des Wortes. Frei nach dem Motto: Ball oder Gegner dürfen vorbei – aber niemals beide gleichzeitig…
Kreisklassenfußball sind Spieler im Bereitschaftsdienst. Wenn der Libero den Anruf von der Arbeit bekommt, wird das Handy auch mal kurzerhand aufs Spielfeld geworfen. Wird es zeitgleich im eigenen Strafraum bremslich, wird der Chef am anderen Ende der Leitung auch mal Ohrenzeuge des Elfmeterpfiffes. Besitzt der Libero die Gabe der Antizipation und erkennt den gegnerischen Konter rechtzeitig, ist der Rückruf bei der nächsten Spielunterbrechung meist die beste Idee.